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gesehen :: Tomboy (und Gefasel über die Auseinandersetzung mit Gender-Identität)

Neulich kam die Tochter und meinte, sie würde gern einmal Tomboy (Affiliate Link) schauen. Den Filmtipp hatte sie von ihrer Freundin. Wir verabredeten uns also zu einem gemütlichen Filmabend mit Chips auf der Couch.

“Als Tomboy (im Deutschen ungefähr entsprechend dem Wildfang) werden Mädchen bezeichnet, die sich entsprechend der gängigen Geschlechterrolle von Jungen verhalten.” (Wikipedia)

Tomboy
Der französische Film stammt von der Regisseurin Céline Sciamma und ist im Jahre 2011 herausgekommen.
Laure zieht mit ihrer Familie in eine neue Stadt. Sie nutzt die Gelegenheit und stellt sich ihren neuen Freunden als Michael vor. Unbemerkt von ihren Eltern, spielt sie mit ihrer Identität als Junge. Irgendwann fliegt das ganze natürlich auf, dem Spiel mit der doppelten Identität wird recht einfühlungslos ein Ende gesetzt.

Ich fand den Film anfangs ganz schön und poetisch, aber auch irgendwie fremd. Die Art und Weise, wie die Kinder und Eltern miteinander sind, wie eine Nicht-Beziehung gelebt wird, wie das Spiel mit der Identität aufgedeckt wird, wie soviel Demütigung und Schmerz einfach passieren kann. Ich kann mein Gefühl gar nicht recht in Worte fassen, fand aber diese Filmkritik sehr passend.

Hier kannst du den deutschen Trailer ansehen.

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Auseinandersetzung mit der eigenen Gender-Rolle
Unser Filmabend war dennoch sehr schön. Ich finde es sehr spannend, daß die Tochter sich gerade mit dem Thema Geschlechterrollen und Identitäten auseinander setzt und wir darüber auch immer wieder ins Gespräch kommen. Wie kann/darf/soll ein Mädchen in unserer Gesellschaft sein, was wird erwartet, welche Priviliegien geniessen Jungs gegenüber Mädchen und andersherum. Die Auseinanderstetzung mit der eigenen Rolle, die Findung des eigenen Standpunktes und suche nach einer Identitität. Ein großes Thema und sehr spannend. Ich erinnere mich, daß auch ich mich immer wieder mit meiner eigenen Gender Identität auseinander gesetzt habe, vorallem auch vor und während meiner Pubertät (in einem weit gefassten Zeitraum). Ich wurde in meiner Vergangenheit oft für einen Jungen gehalten, eine zeitlang liebte ich es auch, damit zu Spielen, daß die Zuordnung nicht eindeutig war. Dann hatte ich wieder Phasen intensiver Weiblichkeit. Ich machte mir Gedanken darüber, wie ich auf Männer wirke und wie auf Frauen. Auch jetzt überdenke und reflektiere ich immer wieder meine Rolle und versuche einen Standpunkt zu finden. Ich lese viele interessante Ausführungen zum Thema Gender und sexuelle Identität, beschäftige mich auch aus spiritueller Sicht mit Männlichkeit und Weiblichkeit. Viele Dinge werden mir erst jetzt klar, manche werden ewig ein Geheimnis bleiben. Was ich wirklich toll finde daran, eine Tochter zu haben: ich habe die Chance, noch einmal meine eigene Pubertät und Entwicklung zu reflektieren, mich noch einmal zurück zu versetzen in die Zeit als ich 13 Jahre alt war oder auch älter. Sie stellt Fragen und ich suche Antworten. In mir drin. Nicht immer auf ihre Fragen, sondern auch auf eigene, die da auftauchen. Wunderbar so!

6 Kommentare

  • Pfarrfrau

    Mir schwant, die Art der Familie damit umzugehen ist typisch französisch.
    Wie du schreibst, die Nicht-Beziehung zu den Kindern.
    Da sehe ich täglich genug Beispiele, wo mir ganz anders wird.

  • Jademond

    Was ich zuerst befremdlich fand, war diese überbetonte Liebevolligkeit sowohl zwischen den Eltern als auch zwischen den Geschwistern und dann im Kontrast dazu die krasse Reaktion als das Versteckspiel aufflog. Hat mich sprachlos gemacht.

  • Simone

    Liebe wurde gespielt – solange die eigene Komfortzone nicht tangiert wurde. Dabei beginnt die große, echte Liebe ja da, wo es für einen unbequem wird. Also, wo ich mich aus Liebe zu dir auf dich beziehe, auch wenn es mir selbst viel abverlangt (eben unbequem ist).

  • Solveig

    Ich kenne den Film (noch) nicht und es passt auch nicht genau zur vorgegebenen “falschen” Identität, aber mir ist dazu trotzdem spontan das Buch “Die verlorene Stimme” – Wendepunkte in der Entwicklung von Mädchen – von Lyn Brown und Carol Gilligan eingefallen. Ich habe es vor über 15 Jahren gelesen und manches hat sich bestimmt inzwischen verändert, aber ich fand es so spannend, wie unter sehr subtilem Druck und teilweise schmerzhaft Anpassungsprozesse auf dem Weg vom Mädchen zur Frau durchlaufen werden. Andererseits wird aber auch deutlich, wie Unterstützung von anderen Mädchen und Frauen aus der Tyrannei des “Nett-Sein” und “Gemocht-Werden” befreien können.

  • andrea

    danke für dieses spannenden beitrag. als dreifache töchtermutter kann ich das bestätigen. die gemeinsame zeit gab und gibt mir immer wieder die möglichkeit, mein eigenes (frau)sein zu beleuchten. besonders spannend für mich war, dieses ausprobieren von verschiedenen möglichkeiten überhaupt erstmal zu entdecken. ich komme aus einem eher schwierigen elternhaus und hatte nur brüder. um so mehr geniesse ich jetzt diesen unbefangenen austausch.

  • Meeresrauschen

    Ich finde es wunderschön zu lesen, welch interessante Gespräche und welch schöne Zeit du immer wieder mit deiner Tochter verbringst. Ich hoffe, dass ich mit meiner Tochter auch so ein gutes, offenes Verhältnis haben werde.
    Liebe Grüße,
    Kathrin

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